Opera
giocosa: Fünfundwanzig Jahre Kammeroper Frankfurt im Palmengarten
In Frankfurt ist in den letzten fünfundzwanzig Jahren etwas entstanden,
das einzigartig ist in Europa: Ein sommerliches Opernfest inmitten
einer Naturoase. Alte hohe Bäume umsäumen ein Opernhaus ohne Wände.
1994 bespielte die Kammeroper Frankfurt mit drei selten aufgeführten
Werken berühmter Komponisten - es waren Donizettis Viva la Mamma
und Nachtglocke sowie Bizets Dr. Mirakel - zum ersten Mal die Muschel
im Palmengarten. Ein Mirakel ist seitdem auch diese Open-Air-Opernreihe
geworden. Mitunter singt eine echte Nachtigall mit Mozarts Königin
der Nacht um die Wette oder der Blick der Zuschauer wendet sich
bei einer Gewitterszene sorgenvoll gen Himmel. Zwanglos, im intimen
Rahmen lässt sich hier Oper erleben, der Picknickkorb ersetzt
das Abendhandtäschchen. Ein Abend im Palmengarten kann so für
Menschen ohne Stadttheaterabonnement zur Einstiegsdroge in den Rausch
der Opernwelt werden. Was nicht heißt, dass bei der musikalischen
Qualität Abstriche gemacht werden: Die Akustik im Freien ist ausgezeichnet.
Viele
junge Künstler haben sich im Palmengarten präsentiert, die jetzt
an großen Häusern wie der Mailänder Scala, der Staatsoper Wien,
der Oper Graz oder der Komischen Oper Berlin singen und spielen,
was Regisseur und Kammeroperngründer Rainer Pudenz nicht ohne Stolz
vermerkt. Natürlich sind auch Frankfurter Publikumslieblinge wie
Ingrid El-Sigai immer wieder mit von der Partie. Das Repertoire
der Kammeroper huldigt den noblen Namen der Opera Comique: Rossini,
Donizetti, Offenbach, Mozart, Bizet und Verdi. Im Palmengarten traf
in diesen Jahren die Italienerin aus Algier den Türken in Italien.
Die lustigen Weiber von Windsor ließen sich aus dem Serail entführen,
entgingen mit Müh und Not Ritter Blaubart, während der Figaro Hochzeit
feierte ..., na ja - cosi fan tutte. So machen's alle? Von wegen,
denn all das hörte und sah das Publikum opernuntypisch nicht nur
im Freien, sondern auch in deutscher Sprache und mit zahlreichen
Ober- und Untertönen, aber ohne hässliche Obertitel.
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Schon
der Entstehungsprozess verhindert, dass sich ein Stadttheatergefühl
einstellt. Jeden Sommer kommt das Ensemble neu zusammen, auch wenn
sich zahlreiche schon kennen. Geprobt wird dort, wo auch gespielt
wird: unter freiem Himmel im Biotop des Palmengartens zwischen Teichen,
Sträuchern, Blumen, Bäumen. Unter für die meisten Berufsmusiker
äußerst ungewohnten Bedingungen wächst das Werk innerhalb von vielen
Wochen heran, als wäre es selbst ein Stück Natur, bis es denn am
Ende wie beim berühmtesten aller Frankfurter heißt: "Natur und Kunst,
sie scheinen sich zu fliehen, und haben sich, eh' man es denkt,
gefunden." Allerdings geht das selten so goetheanisch glatt über
die Bühne. Jede Produktion der letzten 25 Jahre kannte kleine Dramen
und komische Katastrophen. Das Opernleben auf dem engen Raum der
Palmengartenbühne erzeugt Glück, Frustrationen, Kräche, Versöhnungen,
Freundschaften und wunderbare Feindschaften. Und eine Gewittersaison
im Juli kann jenseits der Gefühle und der Gesangeskunst für alle
das Ergebnis verhageln. Diese Unwägbarkeit, dieses Abenteuer muss
man lieben. Zumal die öffentlichen Mittel sich zwar verlässlich,
aber vergleichsweise rinnsalhaft über die Kammeroper ergießen. Ohne
den Förderverein, ohne die andauernde
Hingabe Frankfurter Bürger, Frankfurter Stiftungen und die Liebe
zahlloser Musiker und Sänger stände diese Privatoper schon lange
im Regen.
So aber erblüht sie in ihrem fünfundzwanzigsten Sommer, ein wenig
erwachsen geworden, aber hoffentlich noch nicht ganz, inmitten des
Palmengartens als eine wahrhaft seltene Blüte: als opera giocosa,
eine glückliche Oper. Und da die Frankfurter Kammeroper seit jeher
mit dem Opernpathos wenig am Hut hat, erfreut sich Frankfurt mit
einer Frankfurter Erstaufführung, einer komischen Oper von Gioachino
Rossini "Die verkehrte Braut". Und das unter echten Sternen.
(Text: Bert Bresgen)
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