Zarah und die Geister
Ein Abend über Zarah Leander
von Bert Bresgen
1923, vor hundert Jahren, lebte
ein 16jähriges Mädchen aus der schwedischen Provinz
längere Zeit in Riga bei einer Tante. Sie lernt dort eine
faszinierende neue Welt jenseits romantischer, aber
langweiliger Seen und Birken kennen: Kinos, Konzerthäuser,
die Oper. Dreizehn Jahre später ist sie selbst der aus
Zelluloid geborene und bestbezahlte Hauptstar eines
tausendjährigen Reiches. Und dessen tiefste Singstimme:
Zarah Leander.
So ganz aber war dieses deutsche
Reich nie das ihre und so ganz lange dauerten die 1000
Jahre glücklicherweise ja auch nicht. Zarah Leander blieb
Schwedin und schaffte es anders als Herbert von Karajan
und Marika Röck Gott-sei-Dank nie auf Goebbels
„Gottbegnadetenliste“. Ab den 50ern hatte Zarah ein
sensationelles Comeback und verwitterte in den nächsten
Jahrzehnten wodkagetränkt und wohlgelittenst vor aller
Augen bei ARD und ZDF. Sie sang tiefer und tiefer, aber
sank nicht tiefer. Sie weigerte sich zu verbittern,
sondern spielte und sang einfach weiter und weiter bis zum
Ende aller Butterfahrten. Die große Opern-Diva Birgit
Nilson sang auf ihrer Beerdigung. Regisseure wie Douglas
Sirk, Frederico Fellini, Rainer Werner Fassbinder und
Quentin Tarantino bewunderten Zarah und ließen sich von
ihr inspirieren.
Zarah Leanders Leben wurde schon
oft auf der Bühne, in zahllosen Travestieshows und
Film-Dokus dargestellt von der vorgeblichen „Nazisirene“
bis zum queeren „Tuntenidol“. Aber noch nie so wie wir es
jetzt tun.
Die Kammeroper Frankfurt streift
zwar die bekannten Minenfelder der Fans und Hater um Zarah
nicht ohne Vergnügen, aber verfolgt in den Texten des
Autors Bert Bresgen (zuletzt Librettist für die Oper „Der
Antichrist“ von Andrea Cavallari 2022) vor allem jede
Menge bis lang nie zuvor gestellter Fragen wie:
Was hat Zarah mit der großen Oper
oder mit japanischer Schulmädchenspucke zu tun? Was ihr
“Waldemar“ mit einem schwanenförmigen Tretboot im Münster
? Was trieb sie im Reich der Sowjets und warum war
Schostakowitschs „Lady Macbeth von Mzensk“ ihre
Lieblingsoper? Ist das Melodram nicht eine zu Unrecht
heute völlig unterschätzte Gattung, nach der unsere Seele
im Geheimen lechzt? Und kann man mit den wunderbar
eingängigen Texten ihres schwulen,von der Gestapo
inhaftierten Texters Bruno Balz nicht eigentlich die
gesamte heutige Welt erklären?
Vor allem präsentiert die
Kammeroper natürlich viele melodramatische und wunderbar
ironische Lieder, vorgetragen von einer kongenialen, aber
eigenständigen Interpretin, die alle
Kammernopernbesucher:innen kennen und seit langem wegen
ihrer tiefen Stimme und ihrer Darstellungskunst lieben:
Dzuna Kalnina. Mezzosopran, geboren und aufgewachsen in
Riga.
An ihrer Seite weitere aus vielen
Inszenierungen hochgelobte Kammeropernheroen: Philipp
Hunscha als Sprecher, Tobias Rüger, Saxophon und der
Komponist und Pianist Stanislav Rosenberg, Klavier.
Man könnte sagen: Die Kammeroper
Frankfurt bürstet Zarah Leander gründlichst gegen den
Strich und holt sie gleichzeitig zurück in die Oper.
Aber eine Oper, die anders ist.
Eine Oper für Alle.
Zarah war unserer Meinung nach
eine Maria Callas in ihrem Metier und ihrer „Gattung“:
Operette, Revue, Melodram und Film und alles dazwischen.
Eine schwedisch-deutsche Diva für eine griechische Diva.
Daher haben wir uns für unsere
Winterproduktion in alter Kammeroperntradition einen sehr
ungewöhnlichen Ort ausgesucht: Das „Omikron“ in
Bockenheim, „ein Grieche“, ein großer, aber passend
intimer Veranstaltungsort. Dort wird diese ungewöhnliche
Produktion Premiere feiern.
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